F*ck und all die anderen bösen Wörter
Aktualisiert: 8. Sept.
Neulich Nachmittag entdeckte ich das neue Stand-Up Special von Ali Wong auf Netflix. Wer Ali Wong nicht kennt - sie ist eine US-amerikanische Schauspielerin und meisterhafte Stand-Up Komikerin. So meisterhaft, dass sie für einen Emmy Award nominiert wurde, in der Kategorie „Outstanding Writing For A Variaety Special“. Bereits ihre ersten beiden Shows, Baby Cobra und Hard Knock Wife, waren grandios.
In den ersten acht Minuten des Specials geht es um Blowjobs, Deep Throat, sich aufs Gesicht spritzen lassen und Frauen mit Geld, Macht und Respekt. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, untermalt ihre Aussagen gekonnt mit Mimik und Gestik.
Ich habe herzhaft gelacht. Wenige Sekunden später überkam mich ein merkwürdiges Gefühl. Ein Anflug von Wut über mich selbst. Ich schaute weiter, in meinem Kopf löste sich ein Knoten und die Gedankenmaschinerie sprang an. Auf dem Bildschirm sah ich eine Frau, 40 Jahre alt, die ihr Geld damit verdient, vulgär, humorvoll und geradeaus über Sex, Geld, Männer, Frauen, Penisse, Vaginas (und Vulven), Sperma, HPV und Verstopfungen zu sprechen. Sie wird dafür bezahlt, Tabus zu brechen und bekommt vielleicht sogar einen Award. Und was mache ich? Lebe mit einer teils von der Gesellschaft und teils eigens von mir auferlegten Zensur. Genau das machte mich so wütend.
Schreibe ich Beiträge auf Instagram, mache ich mir ausgesprochen viele Gedanken darüber, welche Worte angemessen sind. Welchen fancy Begriff kann ich benutzen, um smart zu wirken? Das Ausformulieren einfachster Sätze wird zu einem Wettkampf zwischen der „polierten“ und der „unpolierten“ Paulina. Dasselbe gilt für das Schreiben meiner längeren Texte. Dieses Verhalten zieht sich im Grunde durch alle Lebensbereiche, zumindest dann, wenn mir etwas oder jemand am Herzen liegt. Ich habe Angst davor, asozial, ungebildet oder unprofessionell zu wirken. Ich möchte nicht anecken, aus Sorge, weggestoßen zu werden.
Ich wurde unter der Prämisse erzogen, dass ein Mädchen gewisse Dinge tut und andere eben nicht. Sie nehmen keine bösen Schimpfwörter in den Mund und zeigen sich immer von ihrer besten Seite. Für Jungs galten immer andere Regeln. Wenn die schimpfen, sich unmöglich benehmen oder sich prügeln, ist das so, weil es sind halt Jungs. Mädchen sind klein, fein und süß und kacken Konfetti. Fluchen und Fäkalsprache ist außerdem nur was für „Assis“ (sprach die Mutter und schrie „kurwa“).
Als junge Erwachsene, wusste ich nicht, was aus mir werden sollte. Also tat ich das, was andere mir sagten und setzte mein Schauspiel als „polierte“ Paulina fort. Ich wollte ja ein gutes Bild bei meinen Arbeitgebern abgeben. Nicken und lächeln, nicken und lächeln, halte dich mit deiner Meinung zurück (wenn ich überhaupt eine hatte) und sag niemals ehrlich, was du denkst (und wie du es denkst). Es ist doch nur die Arbeit, nach Feierabend kannst du ja wieder ganz „Du“ sein. Ironischerweise neigte ich dazu, meiner Familie und meinen Freunden viel zu viel zu erzählen, insbesondere wenn es um mein Privatleben ging. Aber auch hier hielt ich mich mit meinen eigentlichen Gedanken oft zurück, denn ich wollte keinen Streit und ich wollte gemocht werden.
Heute mache ich mir Gedanken darüber, ob Menschen meine Schreibwerkstätten besuchen werden, wenn ich Kraftausdrücke benutze. Darf ich „krass“ oder „geil“ anstatt „schön“ oder „toll“ sagen? Kann ich kreatives Schreiben verkaufen, wenn ich bin, wie ich bin und gestehe, dass ich kein Konfetti kacke und oft „Scheiße“ oder „Fuck“ sage? Kann ich Themen in mein Angebot einbinden, die etwas unkonventionell sind?
Es gibt soziale und gesellschaftliche Normen, und die haben ihre Berechtigung. Ganz ohne würde es nun wirklich nicht funktionieren. Dennoch - sie sind nicht in Stein gemeißelt und einige von ihnen sind fürchterlich veraltet.
Betrachten wir die Sache mit den Kraftausdrücken und obszönen Begrifflichkeiten mal aus wissenschaftlicher Sicht. Eine Studie hat ergeben, dass ein profaner Sprachgebrauch unter anderem mit Ehrlichkeit in Verbindung gebracht wird. Es wird als ein echter Ausdruck von Emotionen und der Wahrheit gesehen. Solange man niemanden ernsthaft beleidigt, haben Fluchen und ein vulgärer Sprachgebrauch sogar einen positiven Effekt, denn sie helfen dabei, unser Stresslevel zu regulieren und schaffen Erleichterung. Und wie in dem Beispiel mit Ami Wong, werden Kraftausdrücke benutzt, um zu entertainen. In der Comedy Branche, egal ob es sich um Stand-Ups oder Komödien handelt, ist ein profaner Sprachgebrauch gang und gäbe. Zweifellos hat die Studie auch weniger positive Ergebnisse aufgezeigt, aber um die geht es jetzt nicht, ok Karen? Wenn ein profaner Sprachgebrauch solch positiven Effekte hat, gibt es Gründe ihn zu unterlassen?
Ich denke, es kommt auf den Kontext an. In meinem Alltagsjob als Kundenbetreuerin bin ich das Sprachrohr des Unternehmens, das mir ein monatliches Gehalt zahlt und halte mich an dessen Regeln. Hier passe ich meine Sprechweise an und stelle die Notwendigkeit dafür nicht in Frage. Mit meinen Kolleg:innen kann ich wiederum ganz frei sprechen. Ich halte mich mit meiner Meinung und meinen Gefühlen nicht zurück (bei der Arbeit im Kundenservice ist das zwingend erforderlich, ansonsten Magengeschwür incoming), das lockert die Stimmung auf und gibt anderen Mut es mir gleichzutun. Ich biete eine willkommene Abwechslung zum schnöden Berufsalltag, denn ich bringe meine Kolleg:innen zum Lachen.
In meinen persönlichen Projekten wiederum muss ich mich nicht zurückhalten, wenn ich nicht will. Es gibt schließlich niemanden, der mir eine Abmahnung geben kann, wenn ich sage, was ich verdammt noch mal sagen will. Keiner kann mir verbieten über Tabuthemen zu schreiben, meine Meinung mit Ausdrücken meiner Wahl zu äußern oder politisch nicht korrekte Witze zu machen. Das Schlimmste was passieren kann ist, dass mich Menschen blockieren, meine Texte nicht lesen und niemals mein Angebot in Anspruch nehmen werde, und seien wir mal ehrlich: Dann soll es so sein.
Es geht nicht darum, pausenlos mit Vulgarismen um sich zu werfen, sondern sich von einer unnötigen Zensur zu befreien und den Mut zu finden, nicht gemocht zu werden. Wie sehr ich mich auch bemühe, das Bild der „polierten“ Paulina aufrechtzuerhalten, es wird immer Menschen geben, denen ich es nicht recht machen kann, die meine Meinung nicht teilen, die finden, ich gebe nur Grütze von mir und die mein Angebot nicht in Anspruch nehmen werden. Humor ist ein großer Teil meiner Persönlichkeit, dazu gehört auch ein gewisses Repertoire an profanen Begrifflichkeiten. Menschen, die sich an meiner Art zu Sprechen oder Schreiben stören, sind weder meine Zielgruppe, noch werden sie jemals meine Freunde sein.
Ali Wong ist mir ein Vorbild. Ich möchte mir die (zum Teil) eigens auferlegen Fesseln brechen und keine Angst mehr davor haben, anzuecken. Es gibt keinen Grund, sich zu fürchten weggestoßen zu werden, denn die wichtigsten Menschen in meinem Leben kennen und mögen mich genau so. Dasselbe wird für meine Schreibwerkstätten gelten. Die Menschen, die kreatives Schreiben auf meine Art ausprobieren möchten, werden mein Angebot in Anspruch nehmen. Und ist es nicht viel wichtiger, dass hinter allem, was man tut oder sagt, eine gute Absicht steckt? Wenn ich etwas erreichen und Gutes tun will, sollte es keine Rolle spielen, ob ich es fluchend oder Konfetti kackend mache, oder?
