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Fluchtgedanken oder Fernweh?

Manchmal frage ich mich, ob es nicht besser wäre, Berlin zu verlassen. Ich hassliebe diese Stadt und oft überwiegt der Hass. Berlin ist zu groß, zu laut, zu schmutzig. Ich verstehe die Menschen hier oft nicht. Berliner sind eine ganz eigene Spezies. Und Menschen, die herziehen, werden von der Stadt verschlungen und als Neu-Berliner wieder ausgespuckt. Die sind dann anders als davor. Nur ich bin immer noch ich.


Unser erstes Berliner Zuhause war in Neukölln. Heute würde ich niemals wieder in Neukölln leben wollen, auch wenn ich keine negativen Erinnerungen an den Stadtteil aus Kindheitszeiten habe. Weil, ist halt Neukölln. Später sind wir nach Spandau gezogen. Zu Spandau sagt jeder Berliner „Spandau, bei Berlin“. Vermeintlich ein riesiger Brüller, weil Spandau gewissermaßen ein Randbezirk ist. Der Witz marschiert heute noch stur an mir vorbei. Mit Spandau verbinde ich meine Jugend, meine ersten Erfahrungen mit der Liebe und allem was dazu gehört, meine ersten engen Freundschaften, die Entwicklung vom Teenager zur jungen Erwachsenen. Ich mag Spandau wirklich und jedes Mal, wenn ich dort bin, erfasst mich ein starkes nostalgisches Gefühl. Wieso ziehe ich nicht zurück? Weil ich Spandau entwachsen bin. Die erwachsene Paulina gehört dort nicht mehr hin.


Seit 8 Jahren lebe ich nun in Steglitz. Hier fühle ich mich wohl. Ich liebe meine Wohnung und die Gegend, in der ich wohne. Es gibt einen Park, eine nette Einkaufsstraße, ich fühle mich hier (meistens) sicher. Trotzdem bin ich ruhelos und nervös. Irgendwas stimmt nicht ganz und ich kann nicht sagen was. Ist es die Stadt ist, aus der ich inzwischen komplett rausgewachsen bin? Ich lebe hier schließlich schon ganze 30 Jahre! 30 Jahre in ein und derselben Stadt! Das ist doch verrückt.


Dann ist da noch die Angst. Davor, meine Schwester und meine Freunde zu verlassen. Davor, keine neuen Freundschaften an einem neuen Ort zu knüpfen. Davor, einen großen Fehler zu machen. Andererseits kann ich ja auch immer wieder zurück. Wenn ich gehe, muss es nicht für immer sein. Aber vielleicht ja doch?


Ich sehne mich nach der Natur, nach echter unstädtischer Natur. Andererseits habe ich auch das Bedürfnis, eine komplett andere Stadt kennenzulernen. Ich fühle mich ambivalent und dieses Gefühl mag ich nicht.


Ich stelle mir vor, die Stadt zu verlassen und spüre, der der Gedanke daran, für immer zu gehen, gefällt mir nicht. Er löst nicht die überschwänglichen Emotionen aus, die ich haben sollte (oder von denen ich vermute, dass ich sie haben sollte). Und dann frage ich mich - sind das Fluchtgedanken? Nur weiß ich nicht, wovor ich fliehen will. Vielleicht vor der Verantwortung, die so ein Leben mit sich bringt. Vielleicht möchte ich auch vor den Ereignissen fliehen, die ich in den letzten zwei Jahren erlebt habe. Aber beides wird mich immer wieder einholen, egal wo ich bin.


Wenn ich die Perspektive wechsle, dann ist es weniger der Wunsch nach einer Flucht, als viel mehr der Wunsch nach einem Abenteuer, nach Abwechslung. Das Bedürfnis, mein trautes Heim für eine Weile zu verlassen und neue Lebensluft zu schnuppern. Diese Perspektive gefällt mir, weil sie nicht so endgültig ist und mir weniger Angst macht. Ich denke, ich habe Fernweh. Fernweh nach der Welt. Nach anderen Kulturen. Nach hoher Luftfeuchtigkeit und fremden Wäldern. Nach dem Dschungel und dem Ozean, nach Tieren in der Wildnis. Nach imposanter Architektur und malerischen Städtchen.


Vielleicht ist es eine Mischung aus beidem. Eins steht jedoch fest: Ich muss hier einfach mal weg.


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